14.07.2021
... denn das Gute liegt so nah
Lebensmittel aus der Region haben viele Vorteile
Gerade will Christian Preiß die Kiste mit den Gurken in Gemüsetheke stellen, schon greift eine Kundin zu: „Die nehme ich mir gleich“, sagt sie und legt eine der Schlangengurken in ihren Einkaufswagen. Sie ist noch feucht, taufrisch. Chris‘ Bioladen in Plattling ist die letzte Station, die Biogärtner Hans Haushofer aus Niederalteich an diesem Freitag auf seiner Tour anfährt. Frühmorgens hat er Salat und Gemüse geerntet, mittags liegen sie im Laden. Eine Handvoll Zucchini trägt Preiß gleich in die Catering-Küche. Abends werden sie beim Kunden im Dressing als Antipasto auf dem Teller liegen. „Wir möchten die perfekte Qualität, deswegen haben wir uns entschieden, die Wege so kurz wie möglich zu halten“, sagt er.
Laut dem Ernährungsreport 2020 des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft „Deutschland, wie es isst“ denken immer mehr Menschen wie Christian Preiß. 97 Prozent der Befragten gaben an, dass sie kaufen, was ihnen gut schmeckt. An zweiter Stelle ihrer Kaufentscheidung nannten sie „Regionalität“. Das wird immer wichtiger. 2016 gaben knapp drei Viertel der Befragten in einer Umfrage an, die Herkunft aus der Region sei ihnen wichtig oder sehr wichtig, im Jahre 2000 waren es 83 Prozent. Der Preis dagegen spielt eine immer geringere Rolle. 2017 sagten mehr als die Hälfte der Befragten, sie schauen vor allem auf den Preis, 2020 war es nicht einmal mehr jeder Dritte.
In Niederbayern hat das Amt für Ländliche Entwicklung die Genussregion Niederbayern ausgerufen. Am Telefon sprudelt es aus Projektleiter Lukas Dillinger nur so heraus, warum es so gut ist, wenn man kauft, was in der Region hergestellt wurde: die Produkte schmecken gut, wer sie anbaue, ernte und verarbeite, verstehe sein Handwerk und arbeite verantwortungsvoll. Es sei Lebensqualität, zu wissen, wie die Nahrungsmittel erzeugt werden und was man selber alles Gutes daraus machen könne.

Frischer geht‘s nicht
Für Christian Preiß bedeutet regional hauptsächlich „Niederbayern“. Hinter der Kasse hängt eine Niederbayernkarte, rund um Plattling drängen sich die Symbole für Obst und Gemüse, Getreide und Fleisch. An jeder Obst- oder Gemüsekiste steht genau, wo ein Produkt herkommt. Schlangengurken aus Niederalteich, Minigurken aus Zeholfing. Allerdings, so räumt Preiß ein, die besten Oliven für das Öl wachsen halt in der Toskana bei einem inzwischen guten Freund, und Chimseerenken schwinmmen halt nicht in der Isar.
Regionalität ist vor allem ein Thema bei den Älteren. 60 Prozent der 14-29 Jährigen sagten sie legen „voll und ganz" oder „eher“ Wert darauf, dass ein Produkt aus ihrer Region kommt, bei den 45 – 59 jährigen waren es 91%. Am wichtigsten war den Befragten, dass frisches Obst und Gemüse, Milchprodukte, Brot und Backwaren und Fleisch- und Wurstwaren aus der Region kommen, am unwichtigsten war es ihnen bei Süßwaren und Knabbereien, Nudeln und Konserven.
Es sind die Haushalte mit einem mittleren Nettoeinkommen – zwischen 1.500 Euro und 3.000 Euro – die den größten Wert auf Regionalität legen. Hier sagten 88 Prozent der Befragten, Regionalität sei wichtig oder sehr wichtig. 70 Prozent der Haushalte mit weniger als 1.500 Euro im Monat legen Wert auf Regionalität, und 84 Prozent der Haushalte mit mehr als 3.000 Euro.
Für Christian Preiß ist der Trend zu regional und bio Philosophie und Lebensfreude: Kurze Wege und der persönliche Kontakt zu denen, die die Lebensmittel produzieren. Ohne Zwischenhändler. Das sei frischer, schneller, günstiger und die Kaufkraft bleibe auch da. Und er komme gerne mit den Produzenten zusammen. „Wir verstehen uns gut, wir helfen zusammen und jedes mal, wenn ich einen Hof besuche, dann lerne ich etwas“. Seine Begeisterung gibt er dann auch gerne an die Kunden weiter. Gemeinsam entwickeln sie Ideen, beispielsweise, dass die Familie Haushofer jetzt auch Gewürzpflanzen im Topf anbietet. Ein dynamischer Prozess, den Preiß begeistert weiterentwickelt. Für die Hofmolkerei Berl in Ascha bei Straubing macht er aus Bio Erdbeeren aus Landau die Fruchtzubereitung. Bewusst nimmt er das keinen Rohrzucker aus Übersee, sondern den Biozucker der Südzucker AG. Auch wenn nur ein Bruchteil der Produktion des Konzerns „Bio“ sei, habe er sich auch hier für die kurzen Wege entschieden. Seit 2019 kommt der Bio-Südzucker aus dem Werk Rain am Lech.

Das Geld bleibt in der Region
Für Rosmarie Haushofer sind Kurze Wege vor allem eine Frage der Wirtschaftlichkeit. Zeit und Treibstoff um die Waren auszuliefern, kosten Geld. Viele Kunden kommen zu ihr in den Hofladen, Wiederverkäufer, Schulen und Kindergärten beliefert sie ein oder zwei mal pro Woche. Mittwochs bekommen die Kindergärten in Moos und Aholming Milchprodukte, Obst und Gemüse aus dem Schulobstprogramm, da haben auch noch die Kisten mit Salat und Gemüse für den Plattlinger Bioladen Platz im Lieferwagen. Ein großer Kunde ist der Edeka - Markt in Bogen mit seiner Regionaltheke, und auf dem Rückweg kann Hans Haushofer leicht noch einen Abstecher nach Plattling machen.
Als sie vor dreißig Jahren ihren Gartenbaubetrieb auf „Bio“ umgestellt habe, sei sie eine exotische Pionierin gewesen erzählt Rosmarie Haushofer. Jetzt erfährt sie im persönlichen Kontakt mit den kleinen und großen Kunden viel Wertschätzung. Über den Preis ihrer Waren hat sie noch nie diskutieren müssen. Sie kalkuliere so, dass sie zurecht komme und je weniger Zwischenschritte, desto günstiger komme die Ware bei den Kunden an. „Regional und Bio ist für jeden erschwinglich“ findet sie. In der Coronazeit sei die Wertschätzung noch einmal gestiegen.
Genussregion- Projektmanager Lukas Dillinger sieht die Vorteile nicht nur für den einzelnen Hof oder Produzenten. Wenn Betriebe erhalten bleiben, so Dillinger, dann bleibe auch all das Wissen und Können in der Region und das Einkommen. Die Kulturlandschaft werde gepflegt und keiner müsse verhungern, wenn genügend Grundnahrungsmittel in der unmittelbaren Umgebung produziert würden.
Wenn Helga Kronawitter nach Plattling muss, geht sie auch auf den Wochenmarkt und nimmt Kartoffeln von Hans Ebner mit. Die Kartoffeln auf dem Wagen und wie sie riechen, erinnert sie an ihre Besuche auf dem Bauernhof von ihren Großvater. Ihr gefällt die Aufmachung von dem Stand: Vorne der Bulldog dran, hinten der Wagen mit den Frühkartoffeln und das andere Gemüse. Bäuerlich-authentisch. Schnell kommt sie mit Hans und Annette Ebner ins Gespräch. Die Sorte Paroli sei für ihn die beste Frühkartoffelsorte, sagt Ebner. Er hat sie unter Vlies angebaut, so ist sie schneller erntereif. Für ihn ist wichtig, dass eine Kartoffelsorte haltbar ist, obwohl sie noch keine feste Schale hat. Auch die Zwiebeln haben noch keine feste Schale. Extra für den Markt hat er ungefähr 40 Kilogramm vom Feld geholt. Bei jeder Zwiebel habe er extra mit einem Messer das Kraut abgeschnitten. Sie sollten hat bald verarbeitet werden, rät er seinen Kunden. Und nächste Woche holt er wieder welche vom Feld.
Ebner redet gerne mit den Leuten, erklärt, wie er arbeitet. Jeden Mittwoch und jeden Samstag vormittags ist er auf dem Plattlinger Wochenmarkt, dienstags und freitags in Deggendorf. „Mein Großvater war schon da, mein Vater und jetzt sind meine Frau und ich hier. Wir kennen es nicht anders“, sagt er. 40 Prozent seines Einkommens erwirtschaftet er auf den Wochenmärkten. Obwohl er nur einen kleinen Teil dessen, was er anbaut direkt vermarktet. Die Zuckerrüben gehen in die Fabrik, Weizen und Mais in den Großhandel und auch der größte Teil der Kartoffeln und Zwiebeln. „Ohne den Marktstand könnte die Familie nicht von dem Ackerbaubetrieb im Vollerwerb leben“, sagt er. Bio sei er nicht, räumt er ein. Das würde er vom Arbeitsaufwand nicht schaffen. Aber er schaut schon, dass der Boden lange fruchtbar bleibt. Kurze Wege, dass ist auch Ebner wichtig. Was er nicht selber anbaut, bekommt er aus der Nachbarschaft. Die Eier beispielsweise kommen vom Eierhof Hofmann in Stauffendorf, besonders im Herbst bieten ihm Nachbarn Kisten mit Obst aus ihrem Garten an. Kurze Wege schätzen auch die Kunden. Klimaschutz. Wenn sie sehe, was zur Zeit für Unwetter daherziehen, werde sie schon nachdenklich, sagt eine Kundin. Ihr ist wichtig, nicht nur regional, sondern auch saisonal das zu kaufen, was gerade reif ist. Erdbeeren zu Erdbeerzeit, Tomaten zu Tomatenzeit.

Klimaschutz
Vielleicht koste es ein bisschen mehr Energie und Zeit, beim Einkauf auf kurze Wege zu achten, überlegt Lukas Dillinger. Aber man bekomme so viel zurück: Zu wissen, wen man unterstützt, zu wissen, ein Produkt sei noch nicht um die halbe Welt gefahren. Das sei Klimaschutz, Umweltschutz, Schutz der Gesundheit, der eigenen und der des Planeten. Er möchte immer mehr die „digital natives“, die Generation, die mit den elektronischen Medien aufgewachsen ist, für Regionalität begeistern. Ein Start Up hat die Internetseite Regiothek entwickelt. Hier finden die, die im Internet nach regionalen Produkten suchen, ihre Ansprechpartner.
Der Bundesverband der Regionalinitiativen hat die Regioapp fürs Handy entwickelt. Was ist regional? Der Bundesverband hätte gerne eine verbindliche Definition. Es gelte die Chancen zur Entwicklung des ländlichen Raumes durch Wertschöpfung in der Landwirtschaft und im Handwerk zu nutzen, denn kleine und mittelständische Unternehmen seien letztendlich die Stabilitätsfaktoren der Gesellschaft. Er wünscht sich ein Siegel, das nicht nur die Herkunft, sonder auch Aspekte der Biodiversität in der Landwirtschaft würdigt. Das habe nur eine Chance, wenn es politisch und gesellschaftlich akzeptiert und praktiziert werde.
Einkaufen als Fahrradausflug
Lebensqualität durch kurze Wege? Kerstin Weinberger hat da ihre eigene Vorstellung. Sie verkauft für den Obsthof von Daniel Hofmeister Eier, Nudeln, Apfelsaft, Honig und Likör auf dem Plattlinger Wochenmarkt. Bald wird es die ersten Äpfel der Saison geben. Man könne ganz einfach mit dem Fahrrad nach Tabertshauserschwaig fahren, die Hühner anschauen und im Selbstbedienungshofladen stöbern. Einfach vom Isarradweg nach Niederpörng richtung Neutiefenweg abbiegen. Es sei ein Weg, den Kinder auch leicht bewältigen können und ein schöner Radausflug für die ganze Familie. Denn die kleinen, regionalen Strukturen sollten auf jeden Fall erhalten werden, als Arbeitsplätze und Orte der Begegnung.
Hannelore Summer